Rund 80 Zuhörer – fast alle aus dem Neckarsteinacher Stadtteil Darsberg - waren am Sonntagnachmittag, 11. September 2022 in die Kirche Neckarsteinach-Darsberg gekommen, wo Andrii Rusanov sein erstes Konzert gab.
Anfang März 2022 war Oksana Rusanova mit ihren beiden Kindern vor den Kriegswirren in der Ukraine geflohen und in der direkten Nachbarschaft der neuapostolischen Kirche Neckarsteinach-Darsberg untergekommen. Andrii, ihr 2007 geborener Sohn hatte vor rund zwei Jahren begonnen, Klavier zu spielen. Weil in der Unterkunft kein Instrument vorhanden war, fragte die Nachbarin kurzerhand bei der Gemeindeleitung an, ob es eine Übemöglichkeit auf den in der Kirche vorhandenen Tasteninstrumenten gäbe. Und so perfektionierte Andrii sein Klavierspiel zur Freude aller, die zufällig an der Kirche vorbeikamen, bis die Idee zum Konzert entstand.
In der vollbesetzten Kirche begrüßte Hubert Emmerich, Vorsteher der Gemeinde Neckarsteinach-Darsberg die Konzertbesucher – darunter auch Herold Pfeifer, Bürgermeister der Stadt Neckarsteinach -, machte neugierig auf ein abwechslungsreiches Programm und bat um Spenden für Menschen, die hierhergekommen seien und Hilfe brauchen.
Mit den ersten Takten der Fantaisie Impromptu cis-moll von Frédéric Chopin (1810 – 1849) versank Andrii Rusanov in die Musik und spielte hingebungsvoll und ganz ohne Noten. Nach dem zweiten Klavierstück berichtete Oksana Rusanova anschaulich vom einst geordneten Leben in Donezk, bis 2014 während des Mutterschaftsurlaubes ihrer Tochter der Krieg ausbrach und sie mit beiden Kindern und zwei Koffern ans Meer floh in der Hoffnung bald wieder zurückkehren zu können. Als nach mehreren Wochen klar wurde, dass der Krieg andauern würde, zogen sie zum Onkel nach Saporoshje. Rusanova arbeitete weiter an ihrer nun weit entfernten Universität, bis sie sich entschloss, ihr eigenes Bildungsunternehmen aufzubauen, welches sich bald zum festen Bestandteil der Stadt entwickelt hatte.
Bei der melancholischen Mondscheinsonate von Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) flogen Andriis Finger nur so über die Tasten und sorgten für den musikalischen Kontrapunkt.
Anschließend berichtete Oksana Rusanova von ihrer Zeit ab 2019 in der Nähe von Kiew, wo sie sich entschloss neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin ein Online-Bildungsunternehmen aufzubauen, das Ende 2019 an den Start ging und damit beste Voraussetzungen für die Bewältigung der nun folgenden Pandemie bot - bis am 24. Februar 2022 die Ukraine in den frühen Morgenstunden angegriffen wurde. Als nach einer Nacht mit Granatenbeschuss die Kommunikation völlig zusammengebrochen war, trommelte Rusanova spontan erneut zum Aufbruch in die Nähe der polnischen Grenze. Als sie auch hier das Kriegsgeschehen einholte, war klar, dass sich die Familie vom Vater trennen werden und ins Ausland fliehen muss. Mit bewegten Worten berichtete Rusanova von der in Deutschland erfahrenen Welle der Hilfsbereitschaft, bezeichnete sie als „Kreislauf des Guten in der Natur“ und dankte herzlich der örtlichen Gemeinschaft.
Mit dem Prélude cis-moll von Sergei Rachmaninow (1873 – 1943), „Für Elise“ von Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) und dem Hummelflug von Nikolai Rimski-Korsakow (1844 – 1908) demonstrierte Andrii Rusanov mit seiner Spielfreude die neu gewonnene Freiheit in der neuen Heimat.
Mit langanhaltendem Applaus dankten die Zuhörer für den musikalischen Hörgenuss aber auch für den beeindruckenden Erfahrungsbericht, den Corrina Bossert-Vogt vom Englischen ins Deutsche übersetzte. Hubert Emmerich lud alle Anwesenden zu einem Umtrunk ein und erinnerte gleichzeitig an die Spendenbox im Foyer.