Die Bestürzung über den plötzlichen Kriegsausbruch in der Ukraine war auch Gesprächsthema am Montag, 28. Februar 2022, als sich Priester Stefan Wolf aus der Gemeinde Heidelberg-Werderstraße mit einem Geschäftspartner auf einen Kaffee traf. Daraus entwickelte sich ein privater Hilfstransport mit rund 7,5 t Hilfsgütern zur neuapostolischen Kirchengemeinde L’viv in der Ukraine mit Unterstützung des Kirchenbezirks Heidelberg.
Gewohnt gemeinsame Projekte zu planen und zu realisieren, tauschten sich die beiden Handwerksmeister zum gerade begonnenen Krieg in der Ukraine aus mit dem Wunsch, selbst nach besten Kräften zu helfen.
Fahrzeug
Meti Ramadani, als gebürtiger Kosovare selbst mit Kriegs- und Fluchterfahrung, erinnerte sich an seinen alten, abgemeldeten LKW mit 40 m³ Ladevolumen. Bis zum Wochenende war der 12-Tonner wieder fahrbereit und wiederum eine Woche später mit den notwendigen TÜV-Papieren ausgestattet. Nun versprach Stefan Wolf, übers Wochenende einen Kontakt in die Ukraine herzustellen und wurde dabei über die NAK-Gemeindesuche fündig. Beim Anruf auf der einzigen auffindbaren Telefonnummer meldete sich Bezirksälteste Pavel Bich, der offizielle Übersetzer des Apostelbereichs Ukraine und alle weiteren Gespräche konnten auf Deutsch geführt werden. Bezirksälteste Bich redete sich zuerst einmal alle Angst, Sorgen, Stress und Spannung der neuen Situation von der Seele, freute sich über die in Aussicht gestellte Unterstützung und stellte den Kontakt zu Apostel Anatolij Budnyk und zur Gemeinde L’viv her.
Spendenaufruf
Bereits Samstagsabends, 12. März 2022 leitete Bezirksälteste Gerd Merkel den privaten Spendenaufruf im Kirchenbezirk weiter, sodass ab Montag, 14. März 2022 die ersten Lieferungen – darunter aus der Gemeinde Neckargemünd-Mückenloch - auf dem Gelände der Firma Wolf eintrafen. Durch einen Spendenaufruf in Radio Regenbogen wurde die Aktion einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Ab Dienstag rollten Fahrzeuge aus dem gesamten Kirchenbezirk im Zehn-Minutentakt auf den Hof und im vorbereiteten Lkw stapelten sich neben 500 Windelpaketen Babynahrung, haltbare Lebensmittel, Hygieneartikel, Isomatten, Schlafsäcke, Thermoskannen und vieles mehr. Von den bis Mittwoch eingegangenen Geldspenden kaufte Wolf dank eines familiären Kontaktes bei einer Supermarktkette weitere hochwertige Lebensmittel zu günstigen Preisen. Zusätzlich spendete die Supermarktkette palettenweise Mineralwasser, die benachbarte Elektrofirma brachte Batterien und Taschenlampen und der Gemüsehändler nebenan richtete am Abfahrtstag eine große Tasche mit Obst und Früchten als Verpflegung.
Fahrt mit Reifenpanne
Am Donnerstag, 17. März 2022 starteten Meti Ramadani und Stefan Wolf mit dem vollgeladenen, als Hilfstransport gekennzeichneten Lkw gegen 17:00 Uhr auf die rund 1.350 km Reise über Nürnberg, Tschechien, Polen in die Ukraine. Trotz regelmäßiger Reifenkontrollen durch die besonnenen Lkw-Lenker passierte es: Fünf Kilometer vor Krakau platzte ein Reifen und die Fahrt bis zur nächsten Raststätte konnte nur im Kriechtempo fortgesetzt werden. Zwischenzeitlich wussten die beiden Fahrer, dass die Lkw-Abfertigung 48 Stunden an der ukrainischen Grenze dauert und diskutierten weitere Vorgehensweisen, da es auch die Möglichkeit gab, Hilfsgüter an der Grenze zu übergeben. Auch Bezirksälteste Gerd Merkel war in den Entscheidungsprozess involviert und bat darum, alles in Gottes Hand zu legen. Schließlich sah sich Meti Ramadani in der Verantwortung: „Wir haben von so vielen gläubigen Menschen Spenden empfangen, die uns vertrauen. Wir wollen alles dafür tun, den Zielort zu erreichen.“
Grenzübertritt im Morgengrauen
An der ukrainischen Grenze angekommen war zunächst unklar, unter welchen Bedingungen sich die Grenzschranke für Lkw öffnet. Fünf Kilometer landeinwärts neben einer Erstaufnahmestelle für Geflüchtete warteten bereits rund 500 Lkw auf einem riesigen Parkplatz. Nach vielen Fragen stellte sich heraus, dass an einem Terminal ein Ticket gezogen werden müsse und daraufhin das Kfz-Kennzeichen auf einer Anzeigetafel mit einer Uhrzeit für den Grenzübertritt erscheine – in der Regel 48 Stunden später. Als Ramadani gegen 19:00 Uhr ein Ticket zog, erschien sofort das Heidelberger Kfz-Kennzeichen auf der Tafel versehen mit der Uhrzeit 4:22 Uhr für den Grenzübertritt. Ganz in der Nähe befand sich ein Hotel, in dem es für die beiden Fahrer endlich etwas zu essen, eine Dusche und fünf Stunden Schlaf gab.
Im Morgengrauen bei -7°C öffnete sich endlich die Schranke und die Formalitäten für den acht Stunden beanspruchenden Grenzübertritt begannen. Für Pässe, Ladepapiere und Zoll musste jeweils ein separates Büro aufgesucht werden. Bereits bei der Passkontrolle tat sich die nächste Hürde auf: da die Ukraine Kosovo nicht anerkannt hat, wurde der kosovarische Reisepass von Meti Ramadani nicht akzeptiert. Die Bitte um Ausnahmegenehmigung für den Hilfstransport an eine Kirche wurde einem Vorgesetzten vorgetragen, der kein Kirchengebäude am angegebenen Zielort vorfand, da die neuapostolische Kirchengemeinde L’viv in einem Wohngebäude untergebracht ist. Erst ein Telefonat mit Bezirksälteste Pavel Bich konnte Klarheit schaffen und die Ausnahmeregelung bewirken. Die ausführende Beamtin notierte neben dem Visa-Stempel handschriftlich „Danke, was Sie für unser Land tun!“
Ankunft an der neuapostolischen Kirche in L‘viv
Nach 70 Kilometer über Land bei strahlendem Sonnenschein erreichten die beiden L’viv. Leider gab es hier gleich drei Straßen mit dem gleichen Namen und die Schilder waren auf kyrillisch geschrieben. Mittels einer Fotografie des Navis konnte wiederum Bezirksälteste Bich weiterhelfen. Endlich am Kirchenlokal in der Innenstadt angekommen, war es schwierig, eine Parkmöglichkeit zum Entladen zu finden. Apostel Anatolij Budnyk begrüßte die beiden Fahrer und half zusammen mit seiner Frau und vier weiteren Helfern beim Abladen. Nachdem der Lkw entladen war und alles in den Nebenräumen der Kirche verstaut war, zitterten beim Erinnerungsfoto im Kirchenraum dann doch die Kniee.
Rückreise
Gerne wollten die Ukrainer die beiden Fahrer noch verpflegen - Meti Ramadani und Stefan Wolf wollten die Heimreise aber umgehend antreten. Als sie am Terminal vor der Grenze der erste Lkw waren und nach sechs Stunden die Grenze nach Polen passiert hatten, wich die Anspannung - aber auch die Kräfte. Als die beiden am Sonntagabend, 20. März 2022 gegen 23:30 Uhr wieder wohlbehalten Heidelberg erreichten, waren sie um viele Erfahrungen reicher und die Obst- und Gemüsetasche restlos geleert. Die nachträglich eingegangenen Geldspenden deckten genau die Treibstoff- und Reifenreparaturkosten sowie die kurze Hotelübernachtung an der polnisch-ukrainischen Grenze.