Zum 84. Mal jährt sich am 9. November 2022 das Datum, an dem jüdische Gotteshäuser in ganz Deutschland geschändet, geplündert, zerstört und in Brand gesetzt wurden. Auch im Kirchenbezirk Heidelberg wurde in vielen Ortschaften an dieses schreckliche Geschehen erinnert.
Neckarbischofsheim
Den Anfang machte Neckarbischofsheim. Hier wurden im Laufe des Tages 15 Stolpersteine zum Gedenken der Opferfamilien verlegt. Eigens dazu waren Nachfahren der Familie Jeselsohn aus New York angereist. Samuel Jeselsohn war Vorsteher der jüdischen Gemeinde und konnte zusammen mit seiner Frau Amalie 1939 nach Palästina fliehen.
Um 16:45 Uhr begann die Gedenkstunde am Platz der ehemaligen Synagoge in der Schulgasse. Nach Begrüßung, Gedenkansprache und einem Musikbeitrag sprachen Pfarrerin Stephanie Ultes, evangelische Kirche, Gemeindereferentin Carola von Albedyll, katholische Kirche und Priester Peter Krennerich, neuapostolische Kirche Gedenkworte. Nach dem Verlesen der Namen betrachtete Pfarrerin Stephanie Ultes Psalm 122. Mit einem gemeinsamen Gebet der drei Gemeindevertreter endete das Gedenken am Platz der ehemaligen Synagoge und fand in der Zehntscheune seine Fortsetzung mit Vertretern der Kommune.
Sinsheim
Der evangelische Posaunenchor eröffnete die Gedenkfeier zur Erinnerung an die Reichspogromnacht in Sinsheim. Mit nachdenklichen Worten begrüßte Dekanin Christiane Glöckner-Lang, Vorsitzende der ACK Sinsheim alle auf dem Synagogenplatz Versammelten. Schülerinnen und Schüler der Kraichgau-Realschule und des Wilhelmi-Gymnasiums hatten einen Beitrag zum Thema „Krieg und Frieden. Damals und heute“ ausgearbeitet. Sie spannten den Bogen nach Czernowitz in der Ukraine. Aufgrund des andauernden Kriegsgeschehens leben momentan rund 60.000 Binnenflüchtlinge zusätzlich in der Stadt nahe der rumänischen Grenze. Czernowitz war auch damals Zufluchtsort für jüdische Familie während der Nazi-Herrschaft. Um 1930 hatten rund 37% der dortigen Bevölkerung jüdische Wurzeln. Bis sich die Situation in den Wirren des Zweiten Weltkrieges änderte und am 5./6. Juli 1941 20.000 Juden erschossen und die verbleibenden in einem Ghetto zusammengepfercht wurden. Eine Überlebende, die Lyrikerin Rose Ausländer (1901 – 1988) beschrieb diesen Tag mit „Gestern begruben wir die Sonne…“
Dem Gebet von Psalm 102,17ff mit Evangelist Peter Ruf, Vorsteher der Gemeinde Sinsheim folgte ein gemeinsames Lied und die Ansprache von Stadtrat Klaus Gaude in Vertretung des Oberbürgermeisters. Pastor Jürgen Riek von der mennonitischen Gemeinde las Jesaja 9,1-6, woraus Dekanin Glöckner-Lang in ihrer Impulspredigt den verheißenen Friedefürst aufgriff und dazu aufforderte Friedensstifter zu sein und sich dabei notfalls auch zwischen die Fronten zu wagen. Mit Fürbitten, einem Segen und einem gemeinsamen Lied endete die Gedenkfeier.
Neidenstein
Das alljährliche Gedenken an die Reichspogromnacht organisiert der Verein für Kultur- und Heimaltpflege Neidenstein e. V.. Vor der ehemaligen Synagoge im Kirchgraben war ein Kranz aufgebaut, bis kräftige Regenschauer dazu zwangen, die Veranstaltung in das Innere des acht Jahrzehnte landwirtschaftlich genutzten Baudenkmals zu verlegen. Im 19. Jahrhundert waren zeitweilig bis zu einem Drittel der Neidensteiner Bevölkerung jüdischen Glaubens. Eine der größten Synagogen im Großherzogtum Baden mit Mikwe und eigener Schule konnte 1931 ihr 100jähriges Bestehen feiern.
Manfred Wolff, Erster Vorsitzender des Vereins für Kultur- und Heimatpflege und Bürgermeister Frank Gobernatz eröffneten die Gedenkstunde während Bernhard Lorenz mit jiddischen Liedern musikalische Akzente setzte. Auch hier wurde Rose Ausländer zitiert: „…wir reisen gemeinsam…vergesst nicht, es ist unsere gemeinsame Welt…“
Betroffen machte der Zeitzeugenbericht von Willy Beck, in dem er schilderte, wie die einst bestens integrierte Familie Dürrenheimer mit vielen anderen am 22. Oktober 1940 über Heidelberg nach Gurs und später nach Auschwitz abtransportiert wurde.
Ein Grußwort sprach Dr. Albrecht Schütte MdL. Jan-Peter Röderer MdL und Hermino Katzenstein MdL hatten ihre Grußworte schriftlich übermittelt. Übereinstimmend mahnten alle Verantwortung und Engagement an, für eine freie und demokratische Gesellschaft einzustehen, die allen Menschen Raum gebe.
Pfarrer Ralf Krust von der evangelischen Kirche erinnerte daran, dass die Psalmen gemeinsame Grundlage für Juden und Christen sind und las Psalm 147. Gemeindereferentin Carola von Albedyll von der katholischen Kirche und Priester David Schäfer von der neuapostolischen Kirche beteten zusammen mit Pfarrer Krust gemeinsam und sprachen gemeinsam den Aaronitischen Segen (4.Mose 6,24-26), bevor die sechs Kerzen angezündet wurden - stellvertretend für 6 Millionen ermordete Juden.
Zum Schluss dankte Dr. Peter-Paul Ophey, Erster Vorsitzender der Fördergemeinschaft Ehemalige Synagoge e. V. allen Mitwirkenden und Anwesenden. Die Fördergemeinschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Synagoge im Sinne des Denkmalschutzes zu erhalten, das Erinnern wachzuhalten, jüdisches Leben im Kraichgau aufzuarbeiten sowie den interreligiösen und interkulturellen Dialog zu fördern und an künftige Generationen weiterzugeben.
Heidelberg
Im Anschluss an die Gedenkveranstaltung auf dem Alten Synagogenplatz in der Heidelberger Altstadt hatte die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Heidelberg (ACK) ins Haus der Begegnung gegenüber der Jesuitenkirche eingeladen. Rund 80 Teilnehmer lauschten andächtig den Darbietungen. Durch das Programm führten die ACK-Delegierten Stefan Osterwald, Mechthild Schlager, beide katholische Kirche, Dietrich Danckert, evangelische Kirche sowie Helmut Haas, neuapostolische Kirche. Die Strophen eines gemeinsam gesungenen Liedes wechselten sich ab mit den Gebeten der ACK-Delegierten.
„Ich bin ein Stern“ – Schülerinnen und Schüler der Elisabeth von Thadden-Schule lasen das Gedicht und stellten das Leben der Holocaust-Überlebenden Inge Auerbacher (*1934) vor.
Drei Schülerinnen des Elisabeth von Thadden-Gymnasiums erinnerten auch an den eher unbekannten Autor der weltweitbekannten inoffiziellen Hymne Heidelbergs „Ich hab‘ mein Herz in Heidelberg verloren…“ Fritz Löhner-Beda (1883 – 1942). Als österreichischer Jude war er 1938 ins KZ Buchenwald und 1942 nach Auschwitz deportiert worden, wo er Schwerstarbeit leisten musste und am 4. Dezember 1942 grausam ermordet wurde. Eine Gedenktafel an der Nordseite der Alten Brücke gegenüber dem Liebesstein erinnert seit 2014 an ihn. „Warum nennen wir nicht eine Straße oder einen Platz nach Löhner-Beda?“ fragten die Schülerinnen.
Um Spenden für die Stolperstein-Aktion bat Helmut Haas, ACK-Delegierter der neuapostolischen Kirche. Er stellte fest, dass Löhner-Beda zwar keinen Stolperstein bekommen könne, weil er nie in Heidelberg gelebt habe, dass aber der Platz bei der Gedenktafel noch namenlos sei.
Mit dem in hebräischer Sprache zelebrierten „Gebet für den Frieden“ setzte Rabbiner Janusz Pawelzyk-Kissin den Schlusspunkt zusammen mit zwei Liedern, bewegend vorgetragen vom zehnköpfigen Chor der jüdischen Kultusgemeinde
Mosbach
Die von der ACK Mosbach vorbereitete Gedenkfeier zur Reichspogromnacht begann am Donnerstag, 10. November 2022 auf dem Mosbacher Marktplatz. Oberbürgermeister Julian Stipp begrüßte die zahlreichen Anwesenden. Im Rahmen des Erinnerns und Gedenkens der jüdischen Opfer des Nationalsozialistischen Unrechts- und Terrorregimes wurden in diesem Jahr Täter in den Blick genommen, die zu Hass, Brandstiftung, Verfolgung und schließlich zum Genozid aufgerufen hatten. Dr. Alfred Himmel, damaliger Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP war Hauptredner am 10. November 1938 auf dem Mosbacher Marktplatz. Richard Lallathin, evangelische Kirche, Otto Hitzelberger, Petra Roth und Markus Vogl, katholische Kirche und Herbert Fröscher, neuapostolische Kirche führten durch die Gedenkfeier umrahmt von jüdischer Musik. Nach einem gemeinsamen Gebet und einem abschließenden Musikstück machten sich die Anwesenden auf den Weg zum Synagogenplatz, wo Oberbürgermeister Julian Stipp einen Kranz niederlegte. Nach einer Schweigeminute sprachen die ACK-Delegierten den Aaronitischen Segen und ein Musikbeitrag beschloss das feierliche Gedenken.